Vorerinnerung.

Die nöthig gewordene dritte Auflage dieser Chrestomathie aus Jean Paul's Schriften scheint dafür zu bürgen, daß der Gedanke, die vorzüglichsten und trefflichsten Einzelheiten aus Jean Paul's sämmtlichen Schriften und Aufsätzen auszuheben, und in einer bunten Reihenfolge zusammen zu stellen, dem größern Lesekreise nicht unwillkommen war. Wenige Schriftsteller eignen sich, nach des Herausgebers Ansicht, mehr zu einer solchen Darstellung ihres Geistes vermittelst einer Chrestomathie, als Jean Paul, weil selbst in seinen größern Werken nicht das Ganze, als Ganzes, z. B. im Hesperus, Titan etc. ein ästhetisches, in sich völlig abgeschlossenes, Kunstwerk (wie etwa in Werthers Leiden, im Oberon, im Messias u. s. w.) ist; sondern eben das Trefflich seiner Schilderungen in Einzelnheiten besteht, zu deren wiederhohltem Genusse man gern wiederkehrt, wenn man auch [VI] das Ganze nicht mehr, als ein Mahl, lesen sollte. Gewiß werden selbst die innigsten Verehrer des genialen Schriftstellers darin einverstanden seyn, daß, bey allen einzelnen Trefflichkeiten seiner Romane, seiner Vorschule der Aesthetik, seiner Levana u. s. w. ihm doch diejenige Kraft, oder wenigstens diejenige Neigung des Willens abgeht, ohne welche die innere Organisation eines ästhetischen und literärischen Ganzen nicht zum nothwendigen, unauflöslichen Zusammenhange gestaltet werden kann.
Dazu kommt, daß bey wenigen ausgezeichneten Schriftstellern so häufig künstlerische Verirrungen und Fehler gegen die allgemeinsten Gesetze der Aesthetik angetroffen werden, als bey Jean Paul. Mögen weder er, noch die blinden Bewunderer seiner Schriften dieß zugestehen; so wird doch einst die Nachwelt mit den besonnensten Richtern seiner Schriften unter seinen Zeitgenossen in diesem Urtheile gewiß zusammentreffen. Man wird bedauern, daß ein Mann von so seltener schöpferischer Phantasie, und von einem so großen Reichthume neuer und kühner Bilder, in Hinsicht der innern und der technischen Vollendung seiner Producte so selten die Reife erreichte, welche zur Klassicität führt, und zu der ehrenvollen Stelle unter den ersten Klassikern unsrer Nation berechtigt.
[VII] Fast aus demselben Gesichtspuncte wird Jean Paul von dem Göttingschen Recensienten seines Titans betrachtet. Die Kritik darf von ihrer strengen Gerechtigkeit nichts nachlassen, wenn sie gleich von der andern Seite die wahren Verdienste des genialischen Schriftstellers anerkennt und zugesteht.
"Vor der Kritik der Form, meint jener Recensent, möchte dieser Roman wohl so wenig, wie die ähnlichen Producte seines Verfassers, bestehen. In dieser ästhetischen Wildniß findet der Geschmack, der sich an den Werken der Alten erprobt hat, weder Weg noch Steg. - Aber darf es nicht auch eine Gattung von Werken des Geistes geben, in denen uns unmittelbar der Geist selbst so interessirt, daß wir darüber alle reinen Geschmacksurtheile, wie man sich in der Kantischen Schule ausdrückt, vergessen? - Sey dieses Buch, als Roman, was es wolle; sey es inkorrect von einem Ende bis zum andern; doch leuchtet und glühet es von Geist und Gefühl; von dem Geiste, der den Menschen zur reinsten Energie seines Wesens erhebt! von dem Gefühle, in welchem das Gute zum Schönen wird, und das Beste zum Schönsten. Und wenn die Philosophen eben so viel Bedenken, wie die Künstler, tragen müssen, den Verfasser als einen der Ihrigen anzu- [VIII] sehen; so möchte ihm doch nur D e r Philosophischen Geist absprechen, wer Weisheit bloß in Formeln sucht. Der Aesthetiker darf dann hinterher wünschen: wenn doch dieser Strom, der sich wie ein Meer ausbreiten will, endlich ein Bette fände."
Nach allen diesen Voraussetzungen eignet sich vielleicht kein neuerer Schriftsteller mehr, als Jean Paul dazu, daß aus seinen Schriften eine Chrestomathie ausgezogen werde. Das Schöne und Treffliche in seinen Schriften steht so isolirt da, daß es gewöhnlich aus dem Zusammenhange, in welchem es vorkommt, herausgerissen und einzeln aufgeführt werden kann, ja, daß es durch dieses Isoliren noch überdieß gewinnt. - Kein Schriftsteller der neuern Zeit hat ferner so oft und so häufig Sentenzen, als Jean Paul. Sie werden aber, verstreut in einzelnen Stellen, nicht so innig gefühlt und nicht so genau bezeichnet, als wenn sie gesammlet, und zu einem neuen Ganzen zusammengestellt werden. - Durch diese Zusammenstellung entsteht zugleich ein neuer Gewinn. Es wird durch sie das Trefflichste, Genießbarste und Eigenthümlichste in Jean Pauls Schriften ausgehoben, und dadurch eine Sammlung gebildet, die, weil sie so vieles Ueberspannte, Mystische, Halbwahre und aus einer einseitigen An- [IX] sicht der Gegenstände Geflossene ganz von sich ausschließt, einen reinen, bleibenden und befriedigenden Genuß gewähren kann. - Dazu kommt endlich noch d i e Bemerkung, daß Jean Paul, so bewundert und gelesen er auch von seinem Zeitalter seyn mag, doch, aus allen bereits aufgestellten Gründen, sich leichter selbst überleben, und nicht so sicher auf die Nachwelt in dem Sinne übergehen wird, als z. B. Lessing, Klopstock, Wieland, Göthe, Schiller und Andere. Eine Auswahl dessen aber, was dieser seltene Geist in seinen glücklichsten Stunden gedacht und geschrieben hat, was jedem, der nach Bildung strebt, und der die hohen Genüsse, die eine schöpferische Phantasie darbietet, rein und innig feyern will, getrost in die Hände, als ein nahrhaftes Buch, gegeben werden kann, dürfte wohl dem Publikum kein unangenehmes Geschenk seyn.
Beurtheilen wir aber Jean Paul recht; so war Niemand weniger, als er selbst, im Stande, diese Chrestomathie aus seinen Schriften zu arbeiten.
Ein Andrer mußte dieses Geschäft übernehmen, wenn es auf die Bedürfnisse eines ausgebreiteten Publikums berechnet seyn sollte. Allein eben so wenig, als von ihm selbst, durfte diese Bearbeitung von einem seiner enthusiastischen und leiden- [X] schaftlichen Verehrer und Nachahmer gearbeitet werden. Sie würde dann unmöglich unparteyisch ausgefallen seyn. Ein Dritter also, der bey Jean Pauls Celebrität nichts gewinnen und nichts verlieren konnte, der seinen Schriften manche frohe Stunde verdankte, ohne doch gegen ihre Mängel und Fehler blind zu seyn; ein Dritter, der mit der wahren Hochachtung gegen Jean Paul auch ein strenges ästhetisches Urtheil verband, dabey aber immer lieber, gerecht gegen Jean Pauls Darstellungskraft, zu schonend, als zu streng war, konnte sich der Ausarbeitung einer solchen Chrestomathie am besten unterziehen.
Sie sollte daher das sammeln, was in Jean Pauls Schriften ihn überleben und auf die Nachwelt übergehen wird; was jeder Vatter und Erzieher dem in seiner Bildung fortschreitenden Sohne und Zöglinge sicher in die Hände geben kann; was das sittliche Bewußtseyn und das ästhetische Gefühl des Jünglings höher hebt, ohne ihn zu Verirrungen fortzureißen; deren Spuren oft im ganzen Leben nicht wieder zu verwischen sind, und was den reinen Sinn eines frey darstellenden Geistes athmet, der durch sich das wurde, was er ist. -
Aus diesem Gesichtspunkte muß also die Entstehung, die Tendenz und der [XI] Werth dieser Chrestomathie für das größere Publikum angeschlagen und beurtheilt werden. Nur aus diesem Gesichtspunkte gefaßt, kann die Kritik diese Chrestomathie gehörig würdigen.
Uebrigens ist die Erscheinung der Chrestomathieen nicht bloß bey ältern Schriftstellern gewöhnlich; auch aus unsern Zeitgenossen sind bereits mehrere, und vielleicht nur zu viele, erschienen. Doch ist durch sie entschieden seit den letzten beyden Jahrzehnten die vertrautere Bekanntschaft mit den Klassikern unsrer Nation, besonders bey dem Jugendunterrichte und in dem weitern Lesekreise, sehr befördert worden.
Wenn anfangs diese Chrestomathie, bey ihrem ersten Erscheinen im Jahre 1801, nur aus zwey Theilen bestand; so haben die spätern Schriften Jean Pauls den Stoff zu dem dritten und vierten Theile dieser Chrestomathie in den folgenden Jahren dargebothen, so daß nun alle Schriften und einzelne Aufsätze dieses Schriftstellers bis zum Jahre 1816 in den vier Theilen dieser Chrestomathie benutzt, und nach ihrem Geiste in einer gedrängten Form dargestellt worden sind.
Bey der dritten Auflage hat der Herausgeber die vielen eingeschlichenen Druckfehler der ersten und zweyten berichtigt, die fehlerhafte Interpunction verbessert, und manche [XII] seiner eigenen Bemerkungen in den Noten gestrichen. Auch wurde das ganze Werk mit einem Anhange vermehrt, in welchem als Ergänzung dasjenige aufgenommen worden ist, was sich in den seit 1816 erschienenen Schriften von Jean Paul für diese Chrestomathie geeignet findet.






Vorwort

zu dieser vierten Auflage

Bey der gegenwärtigen Auflage der Jean Paul'schen Chrestomathie wurde folgende Eintheilung, in drey Perioden, oder sechs Theilen veranstaltet.

Die erste Periode enthält III Bände, umfassend die Chrestomathie aus Jean Pauls Werken, die in den Jahren 1783 - 1800 erschienen sind.

Die zweyte Periode enthält II Bände, darstellend die Chrestomathie aus Jean Pauls Schriften von den Jahren 1801 - 1815

Die dritte Periode endlich enthält in I Band, die, aus seinen von 1816 - 1818 herausgegebenen Werken und einzelnen Aufsätzten ausgewählten Stellen.

Uebrigens ist bey dieser Ausgabe die Verbindung der Güte und Correctheit, mit der möglichsten Wohlfeilheit, das besondere Bestreben

der Verleger.




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