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Es gibt eine innere, in unserm Herzen hängende, Geisterwelt, die mitten aus dem Gewölke der Körperwelt wie eine warme Sonne bricht. Ich meine das innere Universum der Tugend, der Schönheit und der Wahrheit, drei innere Himmel und Welten, die weder Theile, noch Ausflüsse und Absenkung noch der Theile der äußern sind. Wir erstaunen darum weniger über das unbegreifliche Daseyn dieser drey transcendenten Himmelsgloben; weil sie immer vor uns schweben, und weil wir thöricht wähnen, wir erschaffen sie, da wir sie doch bloß erkennen. Nach welchem Vorbilde, mit welcher plastischen Natur, und woaus könnten wir alle dieselbe Geisterwelt in uns hineinschaffen? Der Atheist z. B. frage sich doch, wie er zu dem Ideale einer Gottheit gekommen ist, das er entweder bestreitet, oder verkörpert? Ein Begriff, der nicht aus verglichenen Größen und Graden aufgethürmt ist, weil er das Gegentheil jedes Maßes und jeder gegebnen Größe ist; - kurz der Atheist spricht dem Abbilde das Urbild ab. Wie es Idealisten der äußern Welt gibt, die glauben, die Wahrnehmungen machen die Gegenstände - anstatt daß die Gegenstände die Wahrnehmungen machen; - so gibt es Idealisten für die innere Welt, die das Seyn aus dem Echo, das Bestehen aus dem Bemerken deduciren; anstatt umgekehrt das Scheinen aus dem Seyn, unser Bewußtseyn aus Gegenständen desselben zu erklären. Wir halten irrig unsre Scheidekunst unsrer innern Welt [S. 6] für die Präformation derselben, d. h. der Genealogist verwechselt sich mit dem Stammvater.
Dieses innere Universum, das noch herrlicher und bewunderungswerther ist, als das äußere, braucht einen andern Himmel, als den über uns, und eine höhere Welt, als die sich an einer Sonne wärmt. - Der Dreyklang der Tugend, der Wahrheit und der Schönheit, der aus einer Sphärenmusik genommen ist, rufet uns aus dieser dumpfen Erde heraus, und rufet uns die Nähe einer melodischen zu. Wozu und woher wurden diese außerweltlichen Anlagen und Wünsche in uns gelegt, die bloß, wie verschluckte Diamanten, unsre erdige Hülle langsam zerschneiden? Warum wurde auf den schmutzigen Erdenkls ein Geschöpf mit unnützen Lichtflügeln geklebt, wenn es in die Geburtsscholle zurückfaulen sollte, ohne sich ne mit den ätherischen Flügeln loszuwinden?
"Aber wie? könnten nicht unsre schönen geistigen Kräfte uns nur zur Erhaltung, und zum Genusse des jetzigen Lebens verliehen seyn?" -
Zur Erhaltung? - Also wurde ein Engel in den Körper gesperrt, um der stumme Knecht des Magens zu seyn? Wären nicht schon Thierseelen im Stande, die Menschenleiber auf den Obstbaum, und auf den Tränkherd zu treiben? Soll die ätherische Flamme den körperlichen Cirkulierofen mit Lebenswärme bloß gehörig ausbrennen und backen, den sie ja verkalkt und auflöset? Denn jeder Erkenntnißbaum ist der Giftbaum des Körpers, und jede Verkleinerung eine langsame Kelchvergiftung; aber umgekehrt ist das Bdürfniß der eiserne Schlüffel zur [S. 7] Freyheit - der Magen ist der mit Düngersalz gefüllte Treibscherben der Blüthe der Völker, - und die verschiedenen thierischen Triebe sind nur die erdigen beschmutzten Stufen zum griechischen Tempel unsrer Veredlung.
Zum Genusse? - Der Theil an uns, der von Erde ist, und der auf Wurmringen kriecht; ja dieser lässet sich allerdings wie der Erdwurm mit Erde füllen und mästen. Die Arbeit, der körperliche Schmerz, der Heißhunger der Bedürfnisse, und der Tummel der Sinne verdrängen und ersticken bey Völkern und Ständen den geistigen Herbstflor der Menschheit; alle jene Bedingungen der irdischen Existenz müssen erst abgethan seyn, ehe der innere Mensch die Forderungen für die seinige machen kann. Ist aber einmahl unser nothwendiger Thierdienst vorbey, der bellende innere Thierkreis abgefüttert, und das Thiergefecht ausgemacht: dann fordert der innere Mensch seinen Mectar, und sein Himmelsbrot, der sich, wenn er nur mit Erde abgespeiset wird, alsdann in einen Würgengel und Höllengott verwandelt, der zum Selbstmorde treibt, oder in einen Giftmischer, der alle Freuden verdirbt. Denn der ewige Hunger im Menschen, die Unersättlichkeit seines Herzens, will ja nicht reichlichere, sondern andre Kost, verlangt. Speise statt Weide. Bezöge sich unser Darben nur auf den Grad, nicht auf die Art: so müßte wenigstens uns die Phantasie einen Sättigungsgrad vormahlen können; aber sie kann uns mit der gemahlten Aufthürmung aller Güter nicht beglücken, wenn es andre; als Wahrheit, Tugend und Schönheit sind.
Diese Unförmlichkeit zwischen unserm Wunsche und unserm Verhältnisse, zwischen dem Her- [S. 8] zen und der Erde, bleibt ein Räthsel, wenn wie dauern, und wäre eine Blasphemie, wenn wir schwinden. Ach wie könnte die schöne Seele glücklich seyn? - Fremdlinge, die auf Bergen geboren sind, zehret in niedrigen Gegenden ein unheilbares Heimweh aus. Wir gehören für einen höhern Ort, und darum zernaget uns ein ewiges Sehnen. Am Morgen des Lebens sehen wir die Freuden, die den bangen Wunsch der Brust erhören, von uns entfernt, aus späten Jahren herüberschimmern; haben wir diese erreicht, so wenden wir uns auf der täuschenden Stätte um, und sehen hinter uns das Glück in der hoffenden, kräftigen Jugend blühen, und genießen nun, statt der Hoffnungen, die Erinnerungen der Hoffnungen. So gleicht die Freude auch darin dem Regenbogen, der am Morgen vor uns über dem Abende schimmert, und der Abends sich über dem Osten wölbt. - Unser Auge reicht so weit als das Licht, aber unser Arm ist kurz, und erreicht nur die Frucht unsers Bodens.